Februar 20, 2012

An die Arbeit, Ihr Dilettanten und Amateure!

Alexander Rosenbaum
Ein Aufruf zum Selbstmachen. 
Die meisten Selbste werden heute mit großer Begeisterung und großem Enthusiasmus immer noch selbst gemacht. Es gibt gute Gründe, es dabei auch zu belassen, selbst wenn manche Humangenetiker hier Optimierungspotentiale vermuten.

Ist ein kleines Selbst erst einmal auf der Welt, fängt es sofort an zu schreien und wir werden seiner nur noch mit Mühe Herr. Alles will es AUCH und selber machen. Und die Welt antwortet ihm: „Nicht anfassen. Du machst alles kaputt!“ Oder sagt wohlmeinend: „Komm, ich helfe Dir!“ Kluge Kinder schmeißen sich dann auf die Erde, kratzen, beißen und treten ihren Wohltätern vors Schienbein. Dies wird aber nur selten richtig gedeutet.

Wenn in unserer hocharbeitsteiligen, komplexen und global vernetzten Welt von „Selbst Machen“ die Rede ist, denken viele an den Baumarkt oder Marmelade kochen, während den Profis und Experten sofort „Pfusch“ einfällt. Wir haben nicht nur ein gestörtes Verhältnis zum SELBST-Machen, wir haben vor allem ein reichlich gestörtes Verhältnis zum „MACHEN“.

Oh schönes Selbst!
Während es heute so ist, dass unser Bildungswesen die jungen Menschen gar nicht schnell genug dem Zweck der „employability“ zuführen kann und in immer kürzeren Studienzeiten -Experten aller Art züchtet, gab es früher gute Gründe, sich mit der Ausbildung ein wenig mehr Zeit zu lassen und Mühe zu geben .

In der Antike war es die edelste Pflicht eines freien Bürgers, der res publica zu dienen und sein Selbst selber zu Vervollkommnen. Neben dem Kriegshandwerk standen auch andere Künste hoch im Kurs. Es stand jedem noblem Griechen gut zu Gesicht, in diversen Künsten zu dilettieren. Wobei die kleinliche Frage danach, welche Künste standesgemäß sind, selbst große Geister immer wieder sehr bewegte. In der Hierarchie der Künste stand das „rein geistige“ ganz oben. Bei den angewandten Künsten hörte der Spaß dort auf, wo die Anstrengung anfing. Kein griechischer Aristokrat konnte es sich leisten, den Eindruck zu erwecken, er habe es nötig etwas selber zu machen. Echte Amateure und Dilettanten waren auch damals nur diejenigen, die sich einer Kunst hingaben, ohne einen schnöden Zweck zu verfolgen.

Auch in der Renaissance und in der Aufklärung wollte man es nicht so engspurig angehen. Denn niemand sollte hinter seinen Möglichkeiten zurückbleiben sondern ein möglichst vollständiger und vollkommener Mensch werden. Das Leben am Hof der Fürsten unterlag sehr interessanten Regeln, die uns glücklicherweise übermittelt wurden. Wir verdanken es dem „Handbuch für Höflinge“, das Baldassare Castigliones 1528 veröffentlichte und als einziges Werk hinterließ, dass wir uns heute noch ein Bild davon machen können, was ein aufstrebender Aristokrat alles können musste, damit das Auge seines Herrn voller Wohlwollen auf ihm ruhte. Neben zwingend erforderlichen Hauptkompetenzen - wie umfassender Gelehrsamkeit, perfekter Beherrschung des Kriegshandwerks, außergewöhnlichem Mut und bedingungsloser Treue - war es damals sehr angesagt, auch noch in Nebenrollen zu brillieren. "Dazu gehörten Konversation, Dichten, Tanz und musikalische Übungen. Dem Höfling wurde Raffinesse bei der Kommunikation seiner zahllosen Vorzüge nahe gelegt. Man möge doch bitte jeden Anschein von Anstrengung bei der Zurschaustellung der eigenen Kunstfertigkeiten vermeiden, denn wahre Kunst sei nur dort zu finden, wo man die Kunst nicht sehe. Besser man vollführe seine Kunststückchen ganz beiläufig. So entstehe der Eindruck, dass einer, der Schweres mit so geringer Mühe zustande bringe, weit Größeres leisten könne, wenn er nur  echten Eifer und echten Fleiß an den Tag lege". (Zitiert nach Dr. Alexander Rosenbaum, Der Amateur als Künstler, S. 26 ff.)  Die wahre Kunst des Höflings bestand nicht in der Erlangung wahrer Virtuosität, sondern im Andeuten von Fähigkeiten.

Politik als Kunst des Andeutens von Fähigkeiten
Nicht alle Herrscher der Weltgeschichte übertrieben es mit dem Wunsch, alles selbst zu machen. Schauen wir uns einmal das Gute an, das mit dem Dilettieren auch gemeint war. Jahrhunderte lang war es die vornehmste Aufgabe des Herrschers, seinem Volk und seinen Höflingen in allen Künsten „voranzugehen“. Spätestens seit der Renaissance war das Dilettieren an den Höfen Europas mindestens üblich. Es wurde getanzt, gemalt, gesungen, gezeichnet, gedrechselt und Gebäude entworfen. Auch das Selbermachen kam sehr in Mode. Selbst gemalte, selbst gedichtete und selbst geschriebene Liebesbeweise galten als ungleich galanter, als alles was man kaufen konnte.

Auch wenn die vielen Könige, Herzöge und Grafen selbstverständlich nicht wirklich alles gleich gut konnten, so muss man ihnen doch zu Gute halten, dass sie wenigstens versuchten, ihren „Untertanen“ ein gutes Beispiel dafür zu sein, wozu ein umfassend gebildeter Mensch in der Welt alles taugt. Friedrich August I von Sachsen konnte… Friedrich II konnte...

Es darf uns auch ruhig ein wenig wehmütig stimmen, dass ambitionierte Herrscher sich früher bemühten, ihr Volk mit einem doch sehr breit und ambitionierten Repertoire an Künsten aller Art zu erfreuen und so gut es geht als Vorbilder zu leben und vorbildlich zu dilettieren. Und wie gingen wir, das Volk damit um? Nun, auch das Volk hatte Zeit zu dilettieren – aber erst nachdem alle notwendigen Arbeiten erledigt waren. Viele Künste waren ihm jenseits der Notwendigkeit der Mühe Wert. So etwas nennt man heute Volkskunst und die Museen sind voll davon.

Wo die Arbeit anfängt hört der Spaß auf
Wir haben es vor allem dem Protestantismus und dem Kapitalismus zu verdanken, dass das Dilettieren so übel in Verruf kam. Was Spaß macht kann keine Arbeit sein – und wenn’s Arbeit ist, kann es keinen Spaß machen! Erst der Schweiß heiligt die Mittel und Werkzeuge. Und wer nicht ARBEITET soll auch nichts Essen und bekommt deshalb HARTZ IV und kein Grundeinkommen.

Die Beziehung zwischen Amateuren und Profis war schon immer etwas angespannt. Wofür man Verständnis entwickeln kann, wenn man sich in die Lage eines ehrlichen Drechslermeisters versetzt, der im 16. Jahrhundert Maximilian I von Habsburg dabei hilft, an der programmierten Drehbank solange Elfenbeinrohlinge zu zerschroten, bis endlich ein vorzeigbarer Kandelaber dabei herauskam. [Das Drechseln galt lange Zeit als ein Probates Mittel gegen Melancholie.] Man stelle sich bitte vor, wie der Drechsler noch am Ende ehrliche Begeisterung zeigen musste, wenn endlich auch das Drechseln von Erfolg gekrönt war. Die nicht unbegabten Werke des königlichen Gedrechsels kann man heute noch in der Dresdner Kunstkammer besichtigen.

Womit wir beim Kern der Animositäten sind: Während der Amateur/Dilettant wegen des Vergnügen, die Kunst um ihrer Selbst willen ausübt, denkt sich der Profi und Experte – der von seiner Kunst leben muss und die Anerkennung seiner Profession fürs Überleben braucht: „Das muss man sich erst mal leisten können! Ich kann es mir jedenfalls nicht leisten.“ Womit sich die Frage stellt: Was würde er tun, wenn er es sich leisten könnte? Würde er dann endlich das tun, was er wirklich will? Oder würde er seine Arbeit aus purem Vergnügen machen und zum anerkannten Dilettanten werden?

Dass beim Profi der Spaß aufhört, wenn’s dem Amateur erst richtig anfängt Spaß zu machen, dafür ist die Beziehung zwischen dem Handwerk und dem Kunsthandwerk ein wunderbares Beispiel. Spätestens seitdem der Kunsthandwerkermarkt erfunden wurde, leidet das Handwerk so sehr unter diesem Begriff, dass man sich immer wieder auf die Suche nach einer anderen Bezeichnung machen musste, um sich als Nicht-Kunsthandwerker zu profilieren. Die letzte große Makramee-Welle, ausgelöst von einschlägigen Fachzeitschriften und dem Deutschen Hausfrauenbund, hätte die Existenz tausender wahre Unikat-Designer und „angewandter - Künstler“ bzw. begnadeter Meister-Designer fast vernichtet!

Vor dem Hintergrund unserer Verantwortung für die Zukunft und der Frage: „Was sollte für die Erlangung beruflicher Handlungsfähigkeit gelernt und gekonnt werden?“ dient als gute Anregung und Orientierung die im Gebr. Mann Verlag erschiene Publikation 
Der Amateur als Künstler – Studien zu Geschichte und Funktion des Dilettantismus im 18. Jahrhundert“ von Dr. Alexander Rosenbaum