Mai 29, 2008

BauKultur

Wer die Zukunft denkt, muss die Herkunft verstehen. Denn nichts im Leben ist voraussetzungslos. Dies gilt vor allem für das Bauen. Früher nannte sich der Bauhandwerker „Baumeister". In Österreich tun dies unsere Kollegen noch heute und viele von ihnen sind damit nicht nur beneidenswert glücklich sondern auch bemerkenswert erfolgreich. Es muss daran liegen, dass das Thema Bauen in Österreich - zumal in den Regionen ein ???- etwas mit der eigenen Kultur zu tun hat. Wer etwas auf sich hält, lässt sich dort die Küche noch vom Tischler als Einzelstück anfertigen und spricht mit Stolz darüber.

Das Meisterliche beginnt im Kopf und es braucht den ganzen Menschen: Hand, Herz und Verstand. Nur wer das Ganze im Auge behält und versteht, wird ein wirklich guter Baumeister sein und nicht nur ein Kaufmann oder Unternehmer. 125 Jahre BauInnung, das ist ein guter Grund zur Ortsbestimmung, das ist ein guter Anlass, aus dem Vergangenen zu lernen und in die Zukunft zu denken.

Wer Zukunft als Ableitung aus dem Gestrigen denkt, hat heute schon verloren, ist ein ewig gestriger. 150 Jahre Industriegeschichte haben uns an einen Wendepunkt geführt. So wie es im 20. Jahrhundert war, geht es nicht weiter. Vieles muss anders werden, damit das, was uns wertvoll ist, erhalten bleiben kann.

Die letzen 125 Jahre sind geprägt vom Aufstieg und der Dominanz des homo oeconomicus. Wir Industrieländer, die ihn hervorgebracht haben, haben in den letzten 125 Jahren mit immer effizienteren Werkzeugen unvorstellbaren Reichtum aber auch unvorstellbare Armut und Umweltzerstörung in die Welt gebracht. Kulturen und Strukturen, die über Jahrhunderte im Gleichgewicht waren, wurden in wenigen Jahrzehnten zerstört und zugrunde gerichtet. Die Globalisierung und eine „entgrenzte" Gier verwahrloster Eliten nach immer mehr Geld operieren am offenen Herzen unserer Kultur. Diese Entwicklungen gefährden den sozialen Zusammenhalt. Dabei geht mehr verloren, als es Zahlen jemals ausdrücken können.

Was ist unsere Aufgabe, die Aufgabe des Bauhandwerks in diesem 21. Jahrhundert? Nun, ich denke wir müssen daran arbeiten, dass uns die Welt wieder zur Heimat wird. Denn allzu viel ist uns in den letzten 50ig Jahren, die ich persönlich erlebt habe, unheimlich geworden und uns allen glaube ich entglitten. Ganz sicher können wir die Zukunft nur bewältigen, wenn wir bereit sind, für mehr Verantwortung zu übernehmen als nur für die Zahlen, die am Ende unsere Bilanzen schmücken. Dies ist allerdings auch eine Aufforderung an die Politik , Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen jeder Mensch eine Chance hat, von seiner Hände Arbeit auch gut zu leben und unter denen die Unternehmer im Handwerk auch die Möglichkeit haben, ihrer sozialen Verantwortung gerecht zu werden.

Handwerk ist mehr als ein paar Zahlen in der Wirtschaftsstatistik. Es ist ein Teil wichtiger, ein unverzichtbarer Teil unserer Europäischen Kultur und Lebenswelt. Handwerk ist eine Art zu Denken und zu Handeln, ein Lebensentwurf und ein sozialer Organismus. In seiner Vielfalt ist Handwerk in Europa wahrlich ein ganzer Kontinent. Handwerk hat mit einer ganz besonderen Qualität zu tun, kann Menschen mit ihren Bedürfnissen persönlich und direkt gerecht werden, ist gute Arbeit im doppelten Sinne. Handwerk bewahrt das Wissen und Können von Jahrhunderten und ist das lebendige und nachhaltige Gedächtnis der Regionen. Wer ein Handwerk lernt, hat Glück - denn alle modernen Erkenntnisse der Neurobiologie und der Lernforschung zeigen: Nur wenn wir als ganzer Mensch mit all unseren Sinnen und Fähigkeiten gefordert sind und uns immer wieder mit neuen Aufgabenstellungen und Erfahrungen weiterentwickeln dürfen, werden wir unserer menschlichen Natur gerecht.

Doch zurück zum Bauen: Wer Zukunft baut, muss aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und die großen Herausforderungen, die vor uns liegen, im Auge haben. Bauen muss in Zukunft vor allem wieder den Menschen dienen, muss Räume schaffen für ein gutes Leben. Wir brauchen Städte, die mehr sind als Spekulations- und Renditeobjekte. Bauen muss in Zukunft wieder mehr mit Qualität, Nachhaltigkeit und Kultur zu tun haben als mit Menge und Geschwindigkeit.
Das Gleichgewicht, in das wir kommen müssen, fängt bei jedem Einzelnen auch als ein inneres Gleichgewicht an. „Gleichgewicht" heißt „gleich wichtig". Gleich wichtig muss uns - neben der Ökonomie - auch in Zukunft wieder die Lebensqualität sein. Und bitte: ich meine dabei nicht nur die eigene! Gleich wichtig muss uns Bildung und Kultur sein und beides muss einen weit größeren Raum einnehmen. Und gleich wichtig muss uns neben dem technisch Machbaren vor allem wieder der Mensch sein, dem wir als Kunde begegnen und der uns als Mitarbeiter oder Kollege begegnet. Es kann nicht sein, dass wir beim Anblick eines Gebäudes nur den Architekten und Investor loben und es uns egal ist, unter welchen Bedingungen die Menschen arbeiten und leben, die es erbaut haben. Das genau ist diese Unkultur, der wir heute begegnen. Das sind Verhältnisse, die ganz sicher nicht dauerhaft zukunftsfähig sind.

Kultur entsteht im geistigen und im materiellen Bereich. Kultur hat mit Kommunikation, mit sozialen Prozessen, mit Denken und Wahrnehmen zu tun. Aber umgekehrt gilt auch: Das, was wir herstellen, unser Alltag, unser Handeln, was uns täglich umgibt und begegnet, ist Ausdruck dieser Kultur. Und der Mittler zwischen diesen Sphären ist der Kulturträger Mensch, sind wir. Mit unserer Kultur verhält es sich wie mit den Synapsen in unserem Gehirn: die Bereiche, die wir nicht nutzen, sie bilden sich zurück. Für den Reichtum einer Kultur, das sagte schon Lewis Mumford, ist nicht die Menge entscheidend, die hergestellt wird, und schon gar nicht die Menge der verschleuderten Ressourcen. Entscheidend ist der Anteil an echten und dauerhaften Werten, die hergestellt werden. Entscheidend ist - dies möchte ich ergänzen - die Summe des aktiven kulturellen Vermögens, das wir als Gesellschaft darstellen, und damit meine ich in Bezug auf das Bauhandwerk, die hohe und die ganzheitliche Qualität der Ausbildung und der Praxis, das Können und das Engagement seiner Menschen.

Sie als Handwerker und Unternehmer haben die Möglichkeit, dies in ihrem Handeln zu berücksichtigen. Wer als Baumeister handelt, behält diese Zusammenhänge im Auge und entwickelt mit anderen im Gespräch Lösungen, die der Komplexität unserer Welt gerecht werden.

Ich möchte an einen Vortrag erinnern, den John Ruskin, einer der einflussreichsten Kunsthistoriker und Architekturkenner des 19. Jahrhunderts, hielt. Er war von Kaufmännern gebeten worden, einen Vortrag darüber zu halten, was wirklich schön und geschmackvoll sei, denn sie hatten den Plan, für ihre Börse ein neues Gebäude zu errichten. John Ruskin war jedoch nicht willens, den Zweck, für den das Gebäude errichtet werden sollte, und die Denkweise der Bauherren zu unterstützen. Denn es war klar, dass der Bau keinem anderen Zweck dienen sollte, als aus viel Geld - auf Kosten der Armen - noch mehr Geld zu machen. Das Gute und das Schöne waren für Ruskin nicht von einander zu trennen. Während seine Zuhörer von ihm erwarteten, er möge ihnen jetzt mitteilen, mit welchen mythologischen antiken Bildern und Wandfliesen sie die Fassade des Gebäudes schmücken sollten, kam Ruskin ganz unbarmherzig zu dem Schluss, dass die Wände sinnvoller Weise mit Geldbörsen geschmückt werden sollten, da das Gebäude keinem darüber hinaus weisenden geistig-kulturellen Zweck diente. Sie können sich vorstellen, dass er danach nie wieder eingeladen wurde. Er hatte nämlich Recht. Und sie können auch sicher sein, dass mir in den letzten 50 Jahren kein einziger Redner begegnet ist, der den gleichen Mut aufgebracht hätte, auch wenn er exakt diese Gedanken in den Pausengesprächen oder hinter der Bühne vertrat. Über John Ruskin werden allerdings auch nach 150 Jahren noch Vorträge gehalten, Bücher geschrieben und Kongresse organisiert. Wer wird dies in Zukunft von sich behaupten können?

(Rede aus Anlaß "125 Jahre BauInnung Hamburg")

Bildnachweiß: Friedrichstadt/ Eider Markt (c) Louise Bindernagel