„Gieb jedem Instrument das was es leyden kann,So hat der Spieler Lust, Du hast Vergnügen dran“ Telemann
Barthold Heinrich Brockes und Georg Philipp Telemann
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die Verbürgerlichung des Barock
Anlässlich der Eröffnung einer Ausstellung „Telemann in Hamburg 1721-1767“ im Hamburger Rathaus - initiiert von der Hamburger Telemann-Gesellschaft in Kooperation mit Marcard pro Arte - hielt der Telemannkenner Prof. Dr. Peter Klein eine Hommage an den großen Komponisten, dessen Werk und Schicksal untrennbar mit dem der Freien und Hansestadt verbunden ist. Wir veröffentlichen hier Inhalte seiner Publikation sinngemäß:
Haydn – Mozart – Beethoven sind ein Dreiklang, der jedem kulturgeschichtskundigen Deutschen zutiefst vertraut ist. Die „Klassik“ und „Wien“ sind für die Musik das, was „Weimar“ für die Literatur ist, Symbole unserer „Leitkultur“. Im Zeitalter der Massenkultur denkt jeder sofort an Mozart, an „Wolfgang Amadé, das Engelskind“, den Heiteren, unerschöpflich Verspielten oder an Beethoven, den Titan und Gottsucher. Und denkt man in diesem Zusammenhang auch an Haydn? Das ist nicht mehr so klar! Dieser angestellte Musiker auf Schloß Esterhaza war zwar ihr Vorläufer, Mentor und Lehrer. Aber damit hat es sich dann auch. Mit Haydn werden - sehen wir mal von unserer Nationalhymne ab - keine weltbewegenden Themen, Lieder oder „Ohrwürmer“ assoziiert. Denn „Genie“ ist ja nach allgemeinem Sprachgebrauch: von Natur aus „überströmend“, ums Absolute „ringend“. Ausnahmenatur jedenfalls. Bei „Papa Haydn“ hingegen riecht es eher nach redlicher Arbeit, nach Mühsal und Bürgerlichkeit.
Bereits ein gutes Halbjahrhundert früher schenkte das Zeitalter des „Barock“ der Musik eine ähnliche Trias. Auch sie war – allerdings lockerer - mit einer Stadt, diesmal mit Hamburg, verbunden. Ich denke an Bach, Händel und Telemann! Bach war unbestrittener Mittler zwischen Mensch und Gott, Händel ein Genie ausdrucksvollen Wohlklangs, - und dann gab es auch noch Telemann, der – in diesem Punkt „Papa Haydn“ ähnlich - als armer „director musicis“ in die Geschichte einging. Doch wird man Telemann nicht gerecht, wenn man ihn als Bürger abwertet, dem die Kunst nur zum reinen Broterwerb diente, und den bestenfalls handwerkliche Tüchtigkeit auszeichnete - ein musikalisches Pendant zu den Pfeffersäcken, „Genie“ nur in der Selbstvermarktung (Stichwort „Tafelmusik“)?
Denn erstens: „Bürgertum“ kann in diesem Zusammenhang nicht abwertend gebraucht werden. Die „Verbürgerlichung“ war für die Aufklärung notwendig und Voraussetzung für den Abstieg des überholten Feudalismus. Aufklärung und Verbürgerlichung waren außerdem notwendige Übergänge zur „Klassik“, die in Weimar zum Gipfel der Menschheit wurde. Bürgerlicher Bildung sei Dank!
Die Geisteskultur in dieser Phase vor der drohenden spirituellen Verspießung zu bewahren, diese Ehre gebührt – ausgerechnet Hamburg? Jedenfalls der für Hamburgs Geistesgeschichte zentralen Gestalt: dem Ratsherrn, Diplomaten und Dichter Barthold Hinrich Brockes. Er war es, der, wie gut belegt, Telemanns Berufung 1721 maßgeblich betrieb. Fast gleichaltrig, standen die Zeitgenossen schon vorher in Kontakt und waren einander in gegenseitiger Hochachtung verbunden, die in Hamburg zur Freundschaft wurde. Telemann vertonte schon vor seinem Ruf nach Hamburg Brockes´ Gedichte, und dieser stellte ihn, den „berühmtesten Componisten dieser Zeit“, noch über Orpheus, bekann mit der Veröffentlichung seines Hauptwerkes im selben Jahr als jener kam: jenes neun Bände von je mehr als 500 Seiten umfassendes Werk namens „Irdischen Vergnügens in Gott“. Diesem Brockes ist es zu verdanken, dass auch die Bürger der Stadt Hamburg den Wert ihres neuen Musikdirektors erkannte und ihn so freundlich aufnahmen, dass Telemann in einem Lebenslauf von 1744 voller Dankbarkeit schreibt, dass Hamburg sich ihn „durch Liebe und Ehre so gar zu eigen (machte), dass er sie bey guter Gesundheit mit Vergnügen und zärtlichster Erkenntlichkeit bewohnte“.
Brockes´ geistesgeschichtliche Stellung war nämlich komplexer, als es einerseits die “Sozialgeschichte der Aufklärung“, andererseits die Literaturgeschichte nahe legen. Dieser gilt als Dichter des „Barock“. Aber ist er das wirklich? Ist er, der 1680 geboren wurde und 1747 starb, wirklich den Dichter "des ersten Barock" zuzurechnen? Einem Martin Opitz (+1639), Andreas Gryphius (+1664), Daniel Casper von Lohenstein (+1683), Angelus Silesius (+1677) oder dem Spätling Quirinus Kuhlmann (+1689)? Hat Brockes Werk tatsächlich Ähnlichkeiten mit der diesen frühen Barock charakterisierenden bedingungslosen Unterwerfung unter die göttliche Vorsehung, die sich vorwiegend als Krieg, Leid und Zerstörung offenbarte und jede menschliche Existenz als „zernichtende“ vanitas erscheinen lässt? Weist Brockes Werk wirklich die asketische und emphatische Spannung auf, das Hin- und Hergerissen sein zwischen Diesseits und Jenseits, diese jenseitsgierige Sucht nach Einklang mit der universalen und objektiven göttlichen „ordo“?
Nein: Brockes erfährt diesen „ordo“ – anders diese Vertreter des frühen Barock - auf eine ausgesprochen lustvolle Weise. Er interpretiert ihn als eine schöne Ordnung, in der sich Gott dem Menschen als der Allgütige offenbart, als Ausdruck einer unendlichen, liebevollen Fürsorge, so dass man dafür Gott bewundern, ihm dafür danken müsse. Brockes tut dies mit seiner Kunst in einer so positiven Ausschließlichkeit, dass sie einem modernen Aufklärer wie Arno Schmidt als „reinste Bockssatyre“ vorkommt, als „kanzlistenmäßiges“ Christentum von der "plattesten Sorte der Zeit". Arno Schmidt: „Man verehrt Gott mit hausbesitzerhafter Sicherheit, gleichsam wie den absolut verlässlichen Vorsitzenden seines Vermieterverbandes (!).“ Und weiter: das wirke allzu „naiv und grotesk“ und ließe sogar Zweifel an Brockes Ehrlichkeit aufkommen, selbst wenn es so „niederschmetternd redlich gemeint“ gewesen sei.
Allerdings: Wirklich naiv war Brockes nicht. Er zieht gegen die kriegerische „Ehr“ – Sucht der absolutistischen Herrscher seiner Zeit zu Felde und formuliert das Theodizee-Problem humorig mit Hilfe einer Parabel über einen faulen Zahn. Seine (nach Schmidt: „ängstlich-trockene“) „Anleitung zum gottseligen (korrekt „vergnügten und gelassenen“) Sterben“ war von theologischem Rang. Und mit wenigen Worten lotet er in seiner Klage „auf Seinen krancken und sterbenden Sohn“ schwierigste seelische Tiefen aus.
Es handelt sich um einen durchaus aufklärungsgemäßen „Deismus“. Einen Deismus aber, der sich nicht auf die Plattheiten der „zweiten“ Aufklärung beschränkt, die ein Vulgärmaterialismus charakterisiert und die sich nicht zu Schade ist, zum Ratgeber für die Wehwehchen des Alltags zu werden. Brockes Spiritualität ist noch voller Ernsthaftigkeit und von der ehrlichen Frage nach Gott durchdrungen. Und er gibt diese Ernsthaftigkeit über bedeutende Vermittler wie Hermann Samuel Reimarus, Moses Mendelssohn oder Gotthold Ephraim Lessing an die großen Denker des sich vollendenden bürgerlichen Zeitalters weiter, bei denen sich die objektive Transzendenz des göttlichen ordo in Immanuel Kants humanzentrierte Theorie der Vernunft verwandelt, woraus sich für den Neuhumanismus die radikale Verpflichtung eines jeden Menschen ergab, durch (Selbst-)Bildung „seinem Wesen Wert und Dauer zu verleihen“ (W. v. Humboldt).
Diese Nähe zum göttlichen ordo sucht auch Telemann zu bewahren; nicht, wie Bach, durch natürliche Gnade; auch nicht wie Händel im Durchgang durch die Tiefen der Krankheit; sondern durch eine lebenslange Bindung an die musikalische Objektivität des strengen Kontrapunkts. So wie Brockes den Kosmos mit Hilfe der Sprache im Menschen spiegelt, möchte Telemann die kosmische Ordnung im Reich der Töne sichtbar machen: Mit allen Varianten, Techniken, Farben und Ausdruckformen, die ihm zur Verfügung stehen. Dies schließt den Ausdruck von Emotion zwar ein, bleibt aber immer an eine feste Form gebunden und wird so auch „lehrbar“. Eine Lehrbarkeit, die sich zwar der Gefahr bildungsbürgerlicher Trivialisierung aussetzt. Aber eine Trivialisierung, der wir in der romantischen Gegenbewegung, die Musik als reines Gefühl begreift, noch weit öfter begegnen. Positiv gewendet ließe sich also sagen: Telemanns Musik ist zuchtvolle Methode, Vorbild und Appell, sich bei der nunmehr jedem Menschen gestellte Aufgabe der Selbst-Bildung nicht mit Dilettantismus und subjektiver Beliebigkeit zu begnügen, sondern in aufgeklärter Autonomie dem eigenen Selbst Wesentlichkeit und Dauer zu verleihen.
Bereits ein gutes Halbjahrhundert früher schenkte das Zeitalter des „Barock“ der Musik eine ähnliche Trias. Auch sie war – allerdings lockerer - mit einer Stadt, diesmal mit Hamburg, verbunden. Ich denke an Bach, Händel und Telemann! Bach war unbestrittener Mittler zwischen Mensch und Gott, Händel ein Genie ausdrucksvollen Wohlklangs, - und dann gab es auch noch Telemann, der – in diesem Punkt „Papa Haydn“ ähnlich - als armer „director musicis“ in die Geschichte einging. Doch wird man Telemann nicht gerecht, wenn man ihn als Bürger abwertet, dem die Kunst nur zum reinen Broterwerb diente, und den bestenfalls handwerkliche Tüchtigkeit auszeichnete - ein musikalisches Pendant zu den Pfeffersäcken, „Genie“ nur in der Selbstvermarktung (Stichwort „Tafelmusik“)?
Denn erstens: „Bürgertum“ kann in diesem Zusammenhang nicht abwertend gebraucht werden. Die „Verbürgerlichung“ war für die Aufklärung notwendig und Voraussetzung für den Abstieg des überholten Feudalismus. Aufklärung und Verbürgerlichung waren außerdem notwendige Übergänge zur „Klassik“, die in Weimar zum Gipfel der Menschheit wurde. Bürgerlicher Bildung sei Dank!
Die Geisteskultur in dieser Phase vor der drohenden spirituellen Verspießung zu bewahren, diese Ehre gebührt – ausgerechnet Hamburg? Jedenfalls der für Hamburgs Geistesgeschichte zentralen Gestalt: dem Ratsherrn, Diplomaten und Dichter Barthold Hinrich Brockes. Er war es, der, wie gut belegt, Telemanns Berufung 1721 maßgeblich betrieb. Fast gleichaltrig, standen die Zeitgenossen schon vorher in Kontakt und waren einander in gegenseitiger Hochachtung verbunden, die in Hamburg zur Freundschaft wurde. Telemann vertonte schon vor seinem Ruf nach Hamburg Brockes´ Gedichte, und dieser stellte ihn, den „berühmtesten Componisten dieser Zeit“, noch über Orpheus, bekann mit der Veröffentlichung seines Hauptwerkes im selben Jahr als jener kam: jenes neun Bände von je mehr als 500 Seiten umfassendes Werk namens „Irdischen Vergnügens in Gott“. Diesem Brockes ist es zu verdanken, dass auch die Bürger der Stadt Hamburg den Wert ihres neuen Musikdirektors erkannte und ihn so freundlich aufnahmen, dass Telemann in einem Lebenslauf von 1744 voller Dankbarkeit schreibt, dass Hamburg sich ihn „durch Liebe und Ehre so gar zu eigen (machte), dass er sie bey guter Gesundheit mit Vergnügen und zärtlichster Erkenntlichkeit bewohnte“.
Brockes´ geistesgeschichtliche Stellung war nämlich komplexer, als es einerseits die “Sozialgeschichte der Aufklärung“, andererseits die Literaturgeschichte nahe legen. Dieser gilt als Dichter des „Barock“. Aber ist er das wirklich? Ist er, der 1680 geboren wurde und 1747 starb, wirklich den Dichter "des ersten Barock" zuzurechnen? Einem Martin Opitz (+1639), Andreas Gryphius (+1664), Daniel Casper von Lohenstein (+1683), Angelus Silesius (+1677) oder dem Spätling Quirinus Kuhlmann (+1689)? Hat Brockes Werk tatsächlich Ähnlichkeiten mit der diesen frühen Barock charakterisierenden bedingungslosen Unterwerfung unter die göttliche Vorsehung, die sich vorwiegend als Krieg, Leid und Zerstörung offenbarte und jede menschliche Existenz als „zernichtende“ vanitas erscheinen lässt? Weist Brockes Werk wirklich die asketische und emphatische Spannung auf, das Hin- und Hergerissen sein zwischen Diesseits und Jenseits, diese jenseitsgierige Sucht nach Einklang mit der universalen und objektiven göttlichen „ordo“?
Nein: Brockes erfährt diesen „ordo“ – anders diese Vertreter des frühen Barock - auf eine ausgesprochen lustvolle Weise. Er interpretiert ihn als eine schöne Ordnung, in der sich Gott dem Menschen als der Allgütige offenbart, als Ausdruck einer unendlichen, liebevollen Fürsorge, so dass man dafür Gott bewundern, ihm dafür danken müsse. Brockes tut dies mit seiner Kunst in einer so positiven Ausschließlichkeit, dass sie einem modernen Aufklärer wie Arno Schmidt als „reinste Bockssatyre“ vorkommt, als „kanzlistenmäßiges“ Christentum von der "plattesten Sorte der Zeit". Arno Schmidt: „Man verehrt Gott mit hausbesitzerhafter Sicherheit, gleichsam wie den absolut verlässlichen Vorsitzenden seines Vermieterverbandes (!).“ Und weiter: das wirke allzu „naiv und grotesk“ und ließe sogar Zweifel an Brockes Ehrlichkeit aufkommen, selbst wenn es so „niederschmetternd redlich gemeint“ gewesen sei.
Allerdings: Wirklich naiv war Brockes nicht. Er zieht gegen die kriegerische „Ehr“ – Sucht der absolutistischen Herrscher seiner Zeit zu Felde und formuliert das Theodizee-Problem humorig mit Hilfe einer Parabel über einen faulen Zahn. Seine (nach Schmidt: „ängstlich-trockene“) „Anleitung zum gottseligen (korrekt „vergnügten und gelassenen“) Sterben“ war von theologischem Rang. Und mit wenigen Worten lotet er in seiner Klage „auf Seinen krancken und sterbenden Sohn“ schwierigste seelische Tiefen aus.
Es handelt sich um einen durchaus aufklärungsgemäßen „Deismus“. Einen Deismus aber, der sich nicht auf die Plattheiten der „zweiten“ Aufklärung beschränkt, die ein Vulgärmaterialismus charakterisiert und die sich nicht zu Schade ist, zum Ratgeber für die Wehwehchen des Alltags zu werden. Brockes Spiritualität ist noch voller Ernsthaftigkeit und von der ehrlichen Frage nach Gott durchdrungen. Und er gibt diese Ernsthaftigkeit über bedeutende Vermittler wie Hermann Samuel Reimarus, Moses Mendelssohn oder Gotthold Ephraim Lessing an die großen Denker des sich vollendenden bürgerlichen Zeitalters weiter, bei denen sich die objektive Transzendenz des göttlichen ordo in Immanuel Kants humanzentrierte Theorie der Vernunft verwandelt, woraus sich für den Neuhumanismus die radikale Verpflichtung eines jeden Menschen ergab, durch (Selbst-)Bildung „seinem Wesen Wert und Dauer zu verleihen“ (W. v. Humboldt).
Diese Nähe zum göttlichen ordo sucht auch Telemann zu bewahren; nicht, wie Bach, durch natürliche Gnade; auch nicht wie Händel im Durchgang durch die Tiefen der Krankheit; sondern durch eine lebenslange Bindung an die musikalische Objektivität des strengen Kontrapunkts. So wie Brockes den Kosmos mit Hilfe der Sprache im Menschen spiegelt, möchte Telemann die kosmische Ordnung im Reich der Töne sichtbar machen: Mit allen Varianten, Techniken, Farben und Ausdruckformen, die ihm zur Verfügung stehen. Dies schließt den Ausdruck von Emotion zwar ein, bleibt aber immer an eine feste Form gebunden und wird so auch „lehrbar“. Eine Lehrbarkeit, die sich zwar der Gefahr bildungsbürgerlicher Trivialisierung aussetzt. Aber eine Trivialisierung, der wir in der romantischen Gegenbewegung, die Musik als reines Gefühl begreift, noch weit öfter begegnen. Positiv gewendet ließe sich also sagen: Telemanns Musik ist zuchtvolle Methode, Vorbild und Appell, sich bei der nunmehr jedem Menschen gestellte Aufgabe der Selbst-Bildung nicht mit Dilettantismus und subjektiver Beliebigkeit zu begnügen, sondern in aufgeklärter Autonomie dem eigenen Selbst Wesentlichkeit und Dauer zu verleihen.
Foto: (copyright) Wernfried Knudtsen - 25840 Westermarktstrasse 2
Text - Bearbeitung: Andreas Grzybowski
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Text - Bearbeitung: Andreas Grzybowski
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